Meine langen Nächte

Ilva Fabiani
Historischer Roman
272 Seiten
Übersetzt aus dem Italienischen von Birgit Ulmer
erschienen im Steidl Verlag
Meine Bewertung:
5 von 5 Sternen

Vielen Dank an den Steidl Verlag für das Rezensionsexemplar

Eine Lebensbeichte

Anna Alrutz ist ein beliebiges blondes Mädchen, wie sie selbst findet. Als älteste Tochter einer wohlhabenden Familie verbringt sie glückliche Sommer im kleinen Kurort Salzgitter. Hier zankt sie sich mit ihrem Bruder Willi, streift mit ihrer besten Freundin Helene durch die Wälder, trifft ihre erste große Liebe. Dass Anna sich schon früh für den Nationalsozialismus begeistert, können die liberalen Eltern nicht verhindern. Auch nicht, dass sie ihr Medizinstudium abbricht und eine NS-Schwester wird. An der Universitätsklinik Göttingen praktiziert sie, was Hitler per Gesetz angeordnet hat: die Zwangssterilisation erbkranker Frauen und Männer. Anna meint, das Richtige zu tun. Doch als sie sich in den französischen Medizinstudenten Thierry verliebt, und Helene in die Klinik eingeliefert wird, gerät ihre Überzeugung ins Wanken. Sie schließt sich einer Gruppe an, die Patientinnen zur Flucht verhilft, und muss bald eine folgenschwere Entscheidung treffen. Meine langen Nächte ist die Geschichte einer ideologischen Verirrung, aber auch eine Geschichte des Mitgefühls und der späten Einsicht: die anrührende literarische Lebensbeichte einer jungen Frau.

„Meine langen Nächte“ von Ilva Fabiani ist die Lebensbeichte einer Frau.

Im Mittelpunkt steht Anna Alrutz.
Gleich zu Beginn sagt Anna den Satz: „ Ich war noch keine 30 Jahre alt, als ich starb, in einer Dezembernacht (Seite 8).
Wir Leser*innen schauen auf das Leben von Anna zurück.

Anna wächst gut behütet mit zwei Geschwistern in einer wohlhabenden Familie auf.
Ihr Vater ist Arzt. Die Mutter und die Schwestern leiden an einer Erbkrankheit. Vielleicht hat das den Anstoß an ihrem Denken gegeben.

Anna studiert Medizin, bricht das Studium allerdings ab.
Sie ist eins mit dem Nationalsozialismus und wird eine „braune Schwester“.
Als Hitler die Zwangssterilisation für erbkranke Frauen anordnet erscheint Anna das richtig.
Sie ist bei vielen Zwangssterilisationen dabei. Ihr kommt nie in den Sinn welches Unrecht sie und die Ärzte begehen.
Erst als sie sich in den Medizinstudenten Thierry verliebt und auch ihre Freundin Helene in die Klinik eingewiesen wird kommen ihr erste Zweifel.
Nun schließt sich Anna einer Gruppe an die Patientinnen zur Flucht verhilft.
Anna wird vom Saulus zum Paulus.

Ilva Fabiani erzählt die Geschichte aus Sicht von Anna.
Sie Blickt nach ihrem Tod auf ihr Leben zurück und legt praktisch eine Beichte über ihren Irrweg ab. Sie sieht aber auch die Gegenwart und stellt Thesen für die Zukunft auf.
Das macht das Buch nicht unbedingt zu einer einfachen Lektüre, ist aber eine interessante Herangehensweise.

Mir war Anna trotz ihrer Gesinnung nicht unbedingt unsympathisch.
Vielmehr hat die Autorin aufgezeigt, was einschlägige Propaganda mit jungen Menschen anstellen kann.
Ilva Fabiani hat den Zeitgeist sehr realitätsnah eingefangen.
Dabei finde ich sehr gut, dass die Autorin keine Meinung zu dieser Zeit äußert. Es geht weder ins Positive noch ins Negative.
Die Leser*innen können sich vorbehaltlos ihre eigene Meinung bilden.

Der Schreibstil von Ilva Fabiani ist gut verständlich aber nicht immer einfach zu lesen.
Man muss sich zeit für die Geschichte nehmen und sie auf sich wirken lassen.
Belohnt wird man mit einer interessante Geschichte aus eine ungewöhnlichen Sicht erzählt.